Bocholt ist unser Zuhause. Wir leben hier, wir arbeiten hier, wir lieben hier. Und gerade weil uns diese Stadt wichtig ist, freuen wir uns, dass hier bald zum ersten Mal ein CSD stattfinden wird, ein Zeichen für Vielfalt, Zusammenhalt und Sichtbarkeit.
Umso irritierender empfinden wir einen Meinungsbeitrag im BBV, in dem dieser Schritt in Zweifel gezogen wird.
Bocholt braucht einen CSD – und einen ehrlichen Blick auf die Realität
In einem Beitrag in der Lokalzeitung BBV äußert Herr Prinz, Redaktionsleiter, Zweifel an der Notwendigkeit des ersten Christopher Street Days (CSD) in Bocholt. Wir als Bocholt Pride e.V. möchten auf diesen Beitrag reagieren, nicht aus Konfrontationslust, sondern weil wir als unmittelbar Betroffene eine andere Realität erleben.
Herr Prinz stellt in seinem Text die Frage, ob Bocholt einen CSD wirklich brauche und antwortet sinngemäß mit Nein. Es gebe keine systematische Ausgrenzung, queere Menschen lebten hier „still, selbstbewusst, integriert“, der CSD sei „Symbolpolitik“ und trage „eher zur Polarisierung bei“. Diese Haltung macht uns betroffen. Nicht, weil sie kritische Fragen stellt, sondern weil sie die Lebensrealitäten queerer Menschen in Bocholt verkennt und ihnen abspricht, sichtbar sein zu dürfen.
„Der CSD spaltet“ – oder: Wer schafft hier Fronten?
Einer der zentralen Vorwürfe im Text ist, der CSD sei ein „politisch aufgeladener Event“, der spalte statt verbinde. Wir möchten an dieser Stelle deutlich widersprechen: Nicht der CSD spaltet – sondern Beiträge wie dieser. Denn sie stellen ein friedliches, offenes Zeichen für Vielfalt als Provokation dar und schreiben queeren Menschen vor, in welcher Form sie für ihre Rechte einstehen dürfen oder eben nicht.
Zunächst: Der CSD ist mehr als eine “bunte Parade”. Er ist ein Zeichen gegen Diskriminierung, für Sichtbarkeit, für gleiche Rechte. Er ist Erinnerung an queere Kämpfe in der Vergangenheit und Ausdruck eines noch immer notwendigen Engagements in der Gegenwart. Denn ja, auch in Bocholt gibt es Diskriminierung – nicht immer laut, nicht immer sichtbar, aber existent.
Es ist ein trügerischer Frieden, wenn Diskriminierung nur dann anerkannt wird, wenn sie körperlich oder laut daherkommt. Queerfeindlichkeit in Bocholt zeigt sich oft subtil: in abschätzigen Blicken bei gleichgeschlechtlicher Zuneigung in der Öffentlichkeit, in flüchtigen Bemerkungen, in Witzen auf dem Schulhof, in ablehnenden Kommentaren auf Social Media, in der Unsichtbarkeit queerer Lebensrealitäten im öffentlichen Raum. All das passiert. Auch hier. Auch heute. Wer das leugnet, spricht Betroffenen ihre Erfahrungen ab. Dass viele queere Menschen sich entscheiden, ihr Leben lieber „still“ zu führen, ist kein Zeichen gelungener Integration, es ist oft eine Strategie des Selbstschutzes.
Der Vorwurf, der CSD sei Symbolpolitik und sorge für Spaltung, verkennt, dass gerade fehlende Sichtbarkeit Spaltung erzeugt. Die Idee, Sichtbarkeit könne „zu laut“ oder „zu viel“ sein, ist ein Privileg jener, die nicht sichtbar um ihre Rechte kämpfen müssen. Der CSD will und muss diese Muster durchbrechen. Sichtbarkeit ist keine Provokation, sondern ein Menschenrecht. Wer Sichtbarkeit als Provokation empfindet, sollte hinterfragen, ob das Problem wirklich im CSD liegt oder in der eigenen Wahrnehmung von Normalität.
„Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht“ – ein passender Satz, aber für wen?
Herr Prinz schreibt in seinem Kommentar: „Der CSD mag gut gemeint sein. Doch gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Er suggeriert ein Problem, das in Bocholt so massiv gar nicht existiert – und trägt damit eher zur Polarisierung bei.“
Wir möchten diesen Satz aufgreifen, jedoch nicht in Bezug auf den CSD, sondern auf den Beitrag von Herrn Prinz selbst. Denn gut gemeint ist auch dieser Text womöglich. Aber gut gemacht? Leider nicht. Er suggeriert, dass queere Menschen in Bocholt kein Problem mehr haben, weil man es nicht ständig sieht. Er legt nahe, dass Diskriminierung erst dann zählt, wenn sie auf Titelseiten stattfindet. Und er gibt der Mehrheitsgesellschaft das bequeme Gefühl, dass „alles doch gar nicht so schlimm“ sei.
Ein solcher Text trägt tatsächlich zur Polarisierung bei, weil er Betroffene zum Schweigen bringt, weil er engagierte Arbeit entwertet, und weil er suggeriert, dass Sichtbarkeit egoistische Selbstdarstellung sei, statt überlebenswichtiger Selbstbehauptung.
Ein Tag der Selbstvergewisserung? Ja – und das ist wichtig.
Am Ende unterstellt der Kommentar dem CSD, er diene eher „der Selbstvergewisserung einer kleinen Gruppe“ als dem Gemeinwohl. Auch hier möchten wir widersprechen und gleichzeitig zustimmen: Ja, der CSD ist ein Tag der Selbstvergewisserung. Und das ist nichts Schlechtes. Sich zu zeigen, wie man ist, und darin Bestätigung zu finden, ist für viele queere Menschen kein Akt der Eitelkeit, sondern ein Akt der Heilung.
Denn queere Menschen in Bocholt, ob lesbisch, schwul, bi, trans, nicht-binär oder inter, brauchen diesen Tag. Für sich selbst. Für ihre Freund*innen. Für all jene, die sich (noch) nicht trauen, öffentlich zu zeigen, wer sie sind. Sich einmal im Jahr nicht verstecken zu müssen, sondern bunt, laut und gemeinsam durch die Stadt zu gehen – das ist kein Luxus. Das ist Freiheit.
Aber es ist auch ein Tag für Bocholt. Für eine Stadt, die zeigen will: Wir sehen euch. Wir hören euch. Ihr gehört zu uns.
Natürlich brauchen wir auch leise Formen der Aufklärung: Dialoge, Schulprojekte, Bildungsarbeit. Das unterstützen wir mit vollem Herzen und das sind ebenfalls Projekte die wir angehen wollen. Aber es braucht auch Momente der kollektiven, selbstbewussten Präsenz. Der CSD ist genau das: ein Tag, an dem wir nicht erklären, nicht bitten, nicht diskutieren – sondern einfach da sind. So wie wir sind.
Was Bocholt braucht, ist beides: Respekt im Alltag und klare Zeichen im öffentlichen Raum.
Wir sprechen nicht für alle – aber aus Erfahrung
Wir möchten an dieser Stelle betonen: Wir sprechen nicht für alle queeren Menschen in Bocholt. Und das maßen wir uns auch nicht an. Es gibt Menschen, die sich sicher und wohl fühlen, die keine Diskriminierung erleben oder sich nicht (mehr) erklären müssen. Das freut uns aufrichtig und genau das wünschen wir allen. Doch wir wissen eben auch, dass es viele andere gibt, die diese Freiheit (noch) nicht haben. Und für sie machen wir uns stark. Ihre Erfahrungen sind real. Ihre Geschichten verdienen es, gehört zu werden. Ihre Sichtbarkeit darf nicht kleingeredet werden.
Wir wissen auch: Es gibt viele Menschen in Bocholt, die uns unterstützen, leise, im Hintergrund, mit einem Lächeln, mit einer Geste, mit einem offenen Ohr. Auch ihnen gilt unser Dank. Der CSD ist auch für sie: ein Tag, an dem aus stillem Einverständnis eine sichtbare Solidarität werden kann.
Wir bleiben im Gespräch – und auf der Straße
Wir laden Herrn Prinz und alle Menschen, die dem CSD mit Skepsis begegnen, herzlich ein, mit uns ins Gespräch zu kommen. Wir haben keine Angst vor Kritik, aber wir wünschen uns Respekt für unsere Lebensrealitäten. Der CSD ist kein Gegenentwurf zum Dialog, sondern eine mögliche Grundlage dafür.
Er ist kein exklusives Event für eine „kleine Gruppe“, sondern ein Fest für eine offene Stadtgesellschaft. Für alle, die sich ein Bocholt wünschen, das niemanden überhört, auch nicht die leisen Stimmen.
Wir glauben: Bocholt kann mehr. Mehr Offenheit. Mehr Verständnis. Mehr Miteinander.
Wir glauben an ein Bocholt, in dem niemand erklären muss, warum er oder sie dazugehört. Und wir sind bereit, daran mitzubauen – bunt, laut und solidarisch.
Deshalb sagen wir: Ja, Bocholt braucht einen CSD.
Einen Tag, der uns zeigt, dass wir gesehen werden. Gehört werden. Willkommen sind.
Denn nur eine Stadt, in der alle Platz haben, ist wirklich für alle da.
Euer Team von Bocholt Pride